Mit dem Kurswagen aus Berlin und Sachsen an den Bayerischen Bodensee: ca. 1892-1911

Von Markus Egger

Irgendwann im späten 19.Jahrhundert begann eine Eisenbahntradition die mit vielen Wandlungen und Wirrungen fast 100 Jahre Geschichte auf Schienen (und in Fahrplänene…) mitschreiben würde.

Damals (sicher kann ich bis jetzt nur sagen: nach 1870, aber vor 1892) entstanden zwei Kurswagenverbindungen, die die Aufgabe hatten weite Teile Deutschlands (Berlin und sein Umland sowie Sachsen) umsteigefrei mit dem bayerischen Bodensee, nametlich Lindau zu verbinden. Dabei wurden die Abgangsbahnhöfe (1892 waren dies Görlitz und Berlin Anhalter Bahnhof) Nachmittags verlassen, weite Teile Bayern im „Nachtsprung“ durchquert, morgens war man in Augsburg und traf dann gegen Mittag in Lindau am Bodensee ein. In der Gegenrichtung ging es am frühen Nachmittag in Lindau los, Hof und die sächsische Grenze wurde am frühen Morgen erreicht, in Görlitz und Berlin war man wieder gegen Mittag. Beide Kurswagen liefen südlich Reichenbach im Vogtland in gemeinsamen Zügen. (Zwischen Dresden und Lindau gab es noch ein zweites Kurswagenpaar in einer um etwa 12 Stunden gedrehten Fahrlage, das aber nicht Gegenstand dieser Fahrplangeschichte sein soll.)

Anlaß für die Einrichtung der Verbindung dürfte schon damals der Fremdenverkehr gewesen sein, die großen Fernverkehrsströme liefen schon lange um Lindau herum, einzig der Verkehr in die Schweiz spielte noch eine Rolle.

Ausschnitt aus dem Verzeichnis der durchlaufenden Wagen eines sächsischen Kursbuches vom Sommer 1892 – es ist der älteste mir bisher vorliegende „Beweis“ für eine Kurswagenverbindung von Görlitz bzw. Dresden nach Lindau. Links neben dem Strick werden die (in Sachen) benutzten Zugnummern genannt. Die Zeiten sind im 12-Stunden-Format, bei Nachtzeiten wzischen 18 Uhr Abends und 6 Uhr morgens wäre die Minutenzahl unterstrichen (kommt hier nicht vor). Abfahrt in Görlitz ist also 14:01, in Dresden-Altstadt geht es um 16:55 los, in Lindau ist man um 12:43. Quelle: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1892. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Ein ähnlicher Ausriss für den Berliner Kurswagen. Quelle: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1892. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Fahrplan der beiden Kurswagen nach Fritzsche’s Kursbuch für Sachsen. Im Abschnitt PleinfeldLindau sind keine weiteren Halte überliefert, vermutlich gab es jedoch weitere. Eigene Zusammenstellung nach: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1892. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Der Laufweg der Kurswagen folgt den damals naheliegendsten Wegen für diese Strecke. Von Görlitz bis Hof ist dieser Weg noch heute der direkteste, ebenfalls von Berlin bis Leipzig. Von Leipzig bis Hof wurde – selbstverständlich – die sächsische Strecke über Werdau benutzt, inklusive doppeltem Kopf machen in Leipzig am Berliner Bf und Bayerischen Bf. An Hof folgten die Wagen dem klassischen Verlauf der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn durch Bayern – inklusive dem „Umweg“ über Nördlingen, denn die Verbindungsbahn Treuchtlingen-Donauwörth wurde erst 1906 eröffnet. Im Allgäu fuhr man selbstverständlich auf rein bayerischem Grund über Kempten. Die Haltepolitik war regional recht unterschiedlich, es gab sowohl klassische Schnellzugartige Abschnitte wie z.B. Görlitz-Dresden oder Bamberg-Nürnberg als auch Abschnitte, in denen aus heutiger Sicht eher kurios anmutende Orte zu Halten an dieser Fernverbindung kamen, genannt sei z.B. Rackwitz, Zschortau, Crimmitschau, Oberkotzau oder Burgkunstadt.

Vermutlich bestand diese Kurswagenverbindung zunächst nur jeweils im Sommer eines jeden Jahres, in den Winterfahrplänen 1894/95 und 1895/96 ist sie jedenfalls nicht zu finden, im nächsten mir vorliegenden Sommerfahrplan 1896 jedoch schon. In den Winterfahrplänen konnte man zwar diese Reise ebenso mit den gleichen Zügen unternehmen, musste jedoch mehrfach umsteigen.

Im Sommer 1896 liegen mir wieder Informationen vor. Der Berliner Kurswagen wurde deutlich beschleunigt, der Görlitzer verkehrte praktisch unverändert.

Immerhin gut eine Stunde schneller war man im Sommer 1896 ab Berlin, in der Gegenrichtung gab es diese Fahrzeitverkürzung nicht. Quelle: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1896. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Im Winter 1896/97 verkehrt dann offensichtlich erstmals auch im Winter ein Kurswagen zumindest von Dresden nach Lindau.

Im Winter wurden nun die sächsischen Kurswagen im bewährten Plan geführt, allerdings erst ab Dresden statt Görlitz.Quelle: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Winter 1896/97. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Beim Blick auf den Fahrplan der Kurswagen stellt man nur wenig Veränderungen von 1892 auf 1897 fest.

Eigene Zusammenstellung nach: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1897. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Im Winter 1897/89 werden dann erstmals die gleichen Kurswagen wie im vorhergehenden Somemr angeboten: Görlitz-Lindau und Berlin-Lindau. Damit hat sich nun eine ganzjährige Verbindung auf dieser Strecke etabliert. Ab Sommer 1898 verkehren die Görlitzer Kurswagen prinzipiell nur noch ab Dresden, Grund dürfte der in diesem Jahr eröffnete neue Dresdner Hbf sein, der ein Kopf machen des Zuges erfordert hätte. Im Winter 1898/99 fehlen dann erstmals die Kurswagen Berlin-Lindau im sächsischen Fahrplan – wobei leider bis jetzt unklar bleibt ob sie entfielen oder nun „um Sachsen herum“ auf den Weg über Halle und den Frankenwald gelegt wurden und deshalb nur nicht mehr im sächschischen Kursbuch aufscheinen – letzteres ist nicht unwahrscheinlich, da 1899 die Verbindungsbahn Ost bei Großheringen eröffnet wurde, die Zügen auf dem Weg von Halle Richtung Saalfeld das Kopf machen in Großheringen ersparte.

Inzwischen erklärt das Kursbuch auch, dass die Kurswagen 1. und 2. Klasse führen. Quelle: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1899. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Dieser Fahrplan blieb dann bis zum Jahr 1905 praktisch unverändert.

Eigene Zusammenstellung nach: Deutsches Reichs-Kursbuch Sommer 1905.

1906 wurde dann die Neubaustrecke Donauwörth-Treuchtlingen eröffnet und der überwiegende Teil des Fernverkehrs Würzburg/Nürnberg – München wieder über Augsburg statt Ingolstadt geführt, die oben genannte Kurswagenverbindung wurde 1907 im Abschnitt Nürnberg-Augsburg nun dem E90/89 Frankfurt-München mitgegeben, auch dieser Zug wurde hier schon vorgestellt.

Um die Kurswagen nun weiterhin ins Allgäu zu bringen fehlte noch das Stück Augsburg-Buchloe, hierfür wurde das kurze Zugpaar 191/192 eingeführt (südwärts interessanterweise nicht als Eilzug aber mit nur wenigen Halten, nordwärts Eilzug laut Kursbuch, Halt aber an allen Unterwegsstationen).

E 192 war Nachfolger des 1905 schon die Kurswagen Lindau-Dresden befördenden P 724 Buchloe-Augsburg, Zug 191 übernahm im Abschnitt Augsburg-Buchloe die Fahrlage des früheren S 179 Pleinfeld-Buchloe.

Eigene Zusammenstellung nach Angaben aus: Eisenbahn-Kursbuch für Bayern, Mai 1907.

Spätestens zum Winterfahrplan 1908/09 ergeben sich für den Dresdner Kurswagen komplexe Änderungen: Während der Kurswagen Dresden-Lindau etwa wie gehabt verkehrt, verlässt der Kurswagen der gegenrichtung Lindau erst deutlich später gegen 18 Uhr, dennoch wird Dresden Hbf wie bisher am nächsten Morgen um 9:48 Uhr erreicht, allerdings läuft der Kurswagen nun in diese Fahrtrichtung bis Breslau durch (es gibt zu anderen Tageszeiten auch ein anderes gegenpaariges Kurswagenpaar Breslau-Lindau-Dresden).

Fast einen ganzen Tag war man mit dem Kurswagen Lindau-Breslau unterwegs, 4 oder 5 verschiedene Züge wurden benutzt. Eigene Zusammenstellung nach Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1909. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

 Im Sommer 1909 kann ich auch erstmals einen direkten Schlafwagen Berlin-Lindau nachweisen. Dieser läuft mit einem neu mit sehr wenigen Zwischenhalten eingerichteten Schnellzugpaar über die Saalbahn bis Augsburg und wird von Augsburg bis Lindau ebenfalls deutlich beschleunigt separat weiterbefördert. Diese Schlafwagen verkehren zunächst aber nur jeweils im Juli und August.

Eigene Zusammenstellung nach: Fritzsche, R. (Hg): Kursbuch für Sachsen, das übrige Mitteldeutschland usw.; Ausgabe Sommer 1909. Online Verfügbar in der Sächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Dresden.

Übrigens kann man noch 2014 in fast der gleichen Fahrlage von Berlin nach Lindau reisen, aber nicht mehr umsteigefrei!

2014 geht es Berlin Hbf ab 21:04 mit CNL 1247 nach Augsburg Hbf, Ankunft dort 6:25, 7:03 geht es dort weiter mit einer RB nach Buchloe, in Buchloe kann man EC 196 besteigen und ist um 9:47 Uhr in Lindau Hbf! Wer weniger umsteigen will kann uch noch den Umweg über München machen und dort von der CNL in den EC umsteigen…

1911 steht dann eine Aufwertung der Verbindung an-  die in der nächsten Folge vorgestellt werden soll!

Offene Fragen und Möglichkeiten zur Mithilfe:

  • Wer hat Zugang zu Fahrplänen von vor 1892 und kann Indizien liefern, wann die Kurswagen tatsächlich eingeführt wurden?
  • Gab es Kurswagen Berlin-Halle-Lindau zwischen 1899 und 1909?
  • Ergänzungen zu den Unklarheiten in den vorliegenden Fahrplänen
  • Ideen und Vermutungen zur Betriebsabwicklung

 

Stand: 17.11.2014

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